Leseprobe

Kapitel IX – Hilfreiche Recken

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Col-de-Vanfore, ein Kloster in den Cevennen

1456 anno Domini, Frühlingsende


»Seit fast zwei Monaten haben wir jetzt nichts mehr von ihm gehört. Er müsste eigentlich bald hier eintreffen« meinte Josselin zu ihrem Mann, als sie ihrerseits zu einem Schlag gegen sein Schwert ausholte. Es gab einen schrillen Ton und Funken sprühten kurz auf, wie beim Schmieden auf einem Amboss.
»Guter Schlag« antwortete Geraldo und drehte sich nach der Abwehr dieses Schlages um seine eigene Achse, tauchte nach unten ab, machte eine Rolle nach vorne und kam hinter seiner Frau wieder auf die Füße. Den Schlag, den er dann selbst führte, konnte sie nur durch eine schnelle Drehung mit einem gekonnten Sprung nach hinten parieren. Wie einer Feder gleich, schwang sie sich daraufhin ihrerseits in die Lüfte und konterte aus heiterem Himmel mit einem Angriff gegen sein Haupt. Der Wucht ihres von oben herabkommenden Schlages war nur schwerlich zu widerstehen und Geraldo strauchelte, als er sein Schwert zur Abwehr gegen ihres knallen ließ. Diesen Vorteil musste Josselin ausnutzen, denn »… ein Gegner der im Fallen ist, muss verlieren.« So hatte sie es von ihrem Lehrmeister erklärt bekommen. Flink ging sie daher in die Hocke, machte einen Ausfallschritt, bei dem sie ihren Fuß hinter den seinen setzte, und zog ihm dann eilig die Füße weg, so dass er endgültig den Halt verlor und zu Boden stürzte. Sofort flog sie, mit dem Knie zuerst, hinter ihm her. Ihre Klinge pfiff dabei durch die Luft und landete direkt an seiner Kehle, wo sie mit einem Mal zum Stehen kam. »Der ging an mich« sagte sie stolz. »Komm, lass uns etwas essen. Ich bin hungrig.«
»Einverstanden. Aber der Verlierer bekommt mehr vom Fleisch ab, damit es beim nächsten Mal wieder etwas besser geht« erwiderte er ihr.
»Gut, aber dann deckst du auch den Tisch.«

Der Sommer war bereits voll im Gange, die Früchte kamen langsam zur Reife, und die beiden Schwertkämpfer führten ihre täglichen Übungen auf dem
Klostervorhof aus, als zwei Gestalten, verdreckt und abgemagert, auf sie zukamen. Der eine war ein stattlicher Mann Mitte vierzig, der andere ein etwas zu kurz gekommener Knabe mit Lumpen, anstelle von Kleidern und Ketten statt Schuhen. Josselin erkannte in dem Mitvierziger ihren Freund Robert. »Du kommst spät, und wie siehst du überhaupt aus?« rief sie ihm zu »… und wieso trägst du Ketten an den Füßen?«
David erkannte, dass sie am Ziel waren, lies sich fallen und stand vorerst nicht wieder auf. Und Robert? Der blickte nur zu den beiden Schwertkämpfern, ließ sich von ihnen noch den Weg ins Schlafgemach zeigen und sankt dann dort ebenfalls erschöpft auf sein Bett, wo er bis zum nächsten Morgen schlief.
Als die beiden Herumtreiber wiedererwacht und einigermaßen bei Kräften waren, entfernte Geraldo zunächst einmal ihre Ketten und Robert erzählte den beiden Schwertkämpfern die Geschichte ihrer unheilvollen Reise. »Wie ihr wisst, bekam ich im Frühjahr einen Brief von Giovanni, in dem er mich bat, mit euch zusammen nach Venedig zu kommen …« begann Robert und David schaute neugierig auf die beiden Schwertkämpfer, die zustimmend nickten, also vermutlich – im Gegensatz zu ihm – auch wussten, wo Venedig lag und wer Giovanni war. David schob sich nachdenklich ein belegtes Brot mit Wurst in seinen Mund. »… also packte ich meine Sachen, fuhr nach London, und traf dort einen Geschäftsmann, der mir erzählte, dass man in einem kleinen Kramladen in der Salsburyroad, Schwarzpulver erstehen könnte. Ihr wisst schon, das Zeug, dass Giovanni fast das Leben gekostet hätte …« Wieder nickten beide zustimmend. »… Na ja, dachte ich. Wer weiß, wozu man es noch brauchen kann? …« fuhr Robert fort und David lächelte ein wenig – was man aber kaum sehen konnte, weil er sich gerade ein weiteres Brot mit Honig in den Mund drückte. Dabei bliesen sich seine Backen derart stark auf, dass sie aussahen, wie der Kehlsack eines Wasserfrosches, und jede noch so gewollte Mimik ging dabei völlig unter. »… also kaufte ich es und verstaute es unter meinem Karren. David hier war in der Zwischenzeit von einem Marineklipper ausgebüxt und kam ebenfalls in den Laden gerannt, wo er sich – patschnass, wie er war – verstecken wollte. Ich unterhielt mich gerade mit dem Besitzer … als wir einen Schlag auf den Kopf bekamen und wir anschließend weggetragen wurden. Gegen Abend wachte ich dann mit höllischen
Kopfschmerzen auf und fand mich mitten zwischen den Angehörigen einer Räuberbande wieder. Der Anführer war einmal ein Wirt in Paris gewesen und … dann machte es kawummm und das Floß explodierte in einer gewaltigen Rauchwolke« beschrieb Robert die Ereignisse der letzten Wochen.
»Mutiger Bursche« sagte Geraldo und warf einen lobenden Blick zu David, der sich gerade ein großes Stück Rauchfleisch einverleibte. »Warum erzählst du nicht mal weiter?« fragte er ihn und Robert erklärte die Situation. Dass David nicht sprechen konnte, hatte er bisher noch gar nicht erwähnt. Josselin schaute sich daraufhin den Rest seiner Zunge an, musste aber zu ihrer und David’s Enttäuschung feststellen, dass daran nichts mehr zu ändern war. Erst nach der Erzählung von Robert, wurde sie auch auf die anderen Verletzungen aufmerksam. Aber nur die Splitterwunden von David waren etwas entzündet und eiterten daher ein wenig. Josselin badete ihm deshalb die Füße in Kräutertee und verband sie anschließend mit einer sauberen Binde. »Ruht euch noch ein wenig aus. Wir kümmern uns um alles« sagte sie und Robert nickte.
David hatte keine Ahnung, was sie damit meinte, war aber noch immer zu müde um nachzufragen und nachdem sein gewaltiger Appetit etwas gestillt war und er endlich fertig aufgegessen hatte, legte er sich erneut ins Bett und schlief geruhsam und beschützt bis zum übernächsten Tag. Mit Ausnahme der Küche und seinem Schlafgemach, hatte David daher noch nichts von dem Kloster gesehen. Robert dagegen, saß seit dem Morgen auf der Veranda der ehemaligen Vorsteherin des Klosters und ließ seine müden Knochen von der Sonne wärmen. Dabei trank er Bier und aß ununterbrochen Käse, Wurst und Brot. Die beiden Schwertkämpfer waren nicht mehr im Kloster. Sie hatten es offenbar im Morgengrauen, oder sogar noch in der Nacht davor, heimlich verlassen. David aber schlief noch immer und Robert ließ ihn gewähren. Es hätte nichts gebracht, ihn zu wecken. Stattdessen schaute er ab und zu in sein Zimmer, um zu prüfen, ob er überhaupt noch lebte. War das der Fall, ging er wieder raus, und lies ihn weiterschlafen. Den ganzen Tag lang war nichts von David und auch nicht von Josselin oder Geraldo zu sehen gewesen, aber Robert wusste, dass er sich insbesondere auf die beiden Schwertkämpfer verlassen konnte. Deshalb macht er sich keine allzu großen
Sorgen, sondern genoss stattdessen die wärmenden Strahlen der südfranzösischen Sonne bei einem weiteren Krug Bier.
Am nächsten Morgen saßen Josselin und Geraldo schon wieder gemeinsam am Frühstückstisch und sprachen miteinander, als die beiden ehemaligen Sklaven das Zimmer betraten. Robert und David setzten sich dazu und begannen mit einem ausgiebigen Frühstück. »Wie herrlich das ist« dachte David. »Schlafen so viel man will und mal in aller Ruhe sein Brot aufessen zu können, ohne dabei auf irgendwelche Peitschenschläge achten zu müssen.« Nichts konnte ihn jetzt noch daran hindern, so lange zu frühstücken, wie er wollte. »Weit und breit keine orientalischen Sklaventreiber, keine Londoner Fänger, und auch keine dicken Schiffsköche, die einem die Zunge abschneiden wollen. Endlich mal Ruhe vor diesen elenden Rumkommandierern« dachte er und freute sich seines Lebens – heute ging es ihm gut.
»Wenn ihr ausgeruht seid, können wir aufbrechen« schlug Geraldo vor, Robert nickte und David fiel das Kinn auf den Boden.
»Wir sind doch gerade erst angekommen. Wo wollen die denn jetzt schon wieder hin?« dachte er, aber dann fiel ihm ein, dass Robert Venedig und seinen Freund Giovanni Patroni erwähnt hatte. Der erwartete sie wahrscheinlich schon. Vor einer Minute hatte er noch geglaubt, dass sie eine Zeit lang hierbleiben würden. Doch nun stellte er fest, dass das ganz und gar nicht der Fall sein würde. Eigentlich wollte er doch zwei Wochen lang durchschlafen und nur aufstehen, wenn es was zu essen gab. Danach hatte er sich eigentlich schon auf eine ausführliche Klosterbesichtigung gefreut, aber offenbar sollte daraus auch nichts werden. Enttäuscht ging David in sein Zimmer und ließ Josselin noch einmal seine Wunden betrachten.
»Kaum zu glauben, dass er damit so weit gelaufen ist« sagte sie erstaunt zu Robert, nachdem sie David einen neuen Verband mit Salbe angelegt hatte.
»Ja. Er ist ziemlich zäh. Ist mir auch schon aufgefallen« stimmte Robert zu.
»Trotzdem. Zumindest zwei Tage darf er nicht laufen. Sonst werden seine Füße zu stark beansprucht und die Wunden heilen nicht« erwiderte sie ihm.
»Dann werde ich ihn tragen, soweit es sein muss« schlug Robert vor. »Zumindest das bin ich ihm schuldig. Immerhin hat er mir mein Leben gerettet.«
»Du wirst ihn nicht allzu weit tragen müssen« bemerkte Josselin. »Wir haben uns schon um eine Transportmöglichkeit gekümmert.«
»Das dachte ich mir bereits. Wie soll es denn weiter gehen?« fragte Robert neugierig.
»Wart‘s nur ab. Es wird dir gefallen und ist eine Überraschung. Aber wir müssen uns etwas beeilen, wenn wir noch mitfahren wollen« antwortete Josselin und grinste dabei über alle Backen ihres schönen, aber von Leid gezeichneten Gesichtes.
Am frühen Nachmittag waren einige Utensilien zusammengepackt und die Gruppe war zum Aufbruch bereit. Nur ein paar Meilen westlich am Bergrücken den Hang hinab und sie waren bereits in Alès, wo Geraldo noch schnell ein paar Besorgungen machen wollte. David erfreute sich in der Zwischenzeit an einem fahrenden Gaukler, der auf dem Marktplatz seine Kunststückchen vorführte. Zwei Stunden später ging es weiter und Geraldo führte die Gruppe jetzt nach Südosten. Die ganze Zeit über, trug Robert David auf seinem Rücken.
Kurz bevor die vier die Küste erreichten, konnte man das Meer und auch den Fluss – die Rhône – schon von weitem sehen. Links und rechts waren ausgedehnte Felder und duftende Zedern, die hier und da eine Baumreihe oder eine kleine Gruppe bildeten. Aber die Sicht war dadurch kaum eingeschränkt, und Robert erkannte plötzlich etwas vor sich, dass er eigentlich nicht mehr wiedersehen wollte.
»Ein Maurenschiff« rief er. »Es liegt in der Bucht da vorne. Und da liegen auch die Flöße.« Plötzlich erkannte auch David, was Robert schon beschrieben hatte. Er wurde bleich vor Entsetzen und krallte seine Finger in Robert’s Rücken.
»Allerdings« meinte Geraldo nur. »Es scheint das von euren ehemaligen Besitzern erwartete Schiff zu sein. Als wir gestern Nacht von hier fort gegangen sind, gab es noch kein Zeichen von den Sklaventreibern. Die müssen gerade erst eingetroffen sein. Ihr seid also schneller gelaufen, als sie mit den Flößen gefahren
sind. Nur das Schiff war schon da, als wir hier ankamen. Wahrscheinlich hat es die ganze Zeit über auf die Flößer gewartet.«
»Aber Geraldo« greinte Robert. »Was, um Himmels Willen, soll das? Ich gestehe, dass ich froh war, diese Kerle nicht mehr wiedersehen zu müssen, und jetzt laufen wir ihnen direkt in die Arme.« David nickte heftigst vor Zustimmung.
»Ich will ihr Schiff haben« antwortete er. »Und außerdem gefällt es mir nicht, dass sie meine Freunde zu Sklaven gemacht haben, wenn auch nur für kurze Zeit.«
David war erfreut über diese Worte. Nicht, dass Geraldo das Schiff haben wollte. Das war ihm egal, aber dass er ihn seinen Freund nannte, das gefiel ihm sehr. Wie hatte Robert damals gesagt: »… mit ihnen hast du starke Verbündete, und das ist was wert, bei dem was noch auf uns zukommen wird …« und dabei hatte David noch nicht mal für sie gekocht, wie Robert vorgeschlagen hatte.
»… und weil du für uns Rache nehmen willst, sollen wir riskieren, wieder zu Sklaven zu werden« fuhr Robert fort und war offenbar gar nicht damit einverstanden, das Schiff zu kapern. Vielleicht hatte er auch ein wenig Angst vor den Orientalen. So hilflos, wie in den letzten Tagen, war er noch nie in seinem Leben gewesen. Das hatte Spuren hinterlassen. Außerdem fürchtete er, dass sie sich vielleicht an David rächen würden.
»Hier wird niemand mehr zu einem Sklaven gemacht. Das verspreche ich dir« sagte Geraldo und schlug sich mit der geballten Faust auf sein Gewand, dort wo das Herz unter dem Brustkorb liegt. Offenbar hatte Geraldo einen Entschluss gefasst und entschied für sich und mit Zustimmung von Josselin, dass sie es alleine versuchen würden.
Das Schiff lag abends noch immer vor Anker, und Geraldo hielt es mittlerweile sogar für wenig klug, Robert und David mitzunehmen. David hätte sowieso nichts ausrichten können, und sich nur in Gefahr gebracht, selbst wenn er hätte laufen können. Robert dagegen konnte zwar recht ordentlich mit einem Schwert umgehen, aber jemanden an ihrer Seite zu haben, der eigentlich gar nicht kämpfen wollte oder vielleicht sogar Angst hatte, das war zu gefährlich. »Auf so jemanden kann man sich nicht verlassen« meinte Geraldo leise zu Josselin, war aber keineswegs enttäuscht von Robert, oder gar verärgert. Er konnte nur zu gut
verstehen, wie man sich so kurz nach einer Niederlage, oder einer Gefangennahme, fühlt. Zu oft war er früher selbst schon in einer solchen Situation gewesen. Und deshalb wusste er auch allzu genau, dass das Selbstbewusstsein für eine Weile schwindet und man ständig nach anderen, als den gefährlichen oder riskanten Lösungen sucht, wenn es galt, Problem anzugehen.
Die Nacht brach schon herein und die beiden Schwertkämpfer kauerten sich zu Robert und David vor. »Egal, wie lange es dauert …« sagte Geraldo »… ihr beiden bleibt hier. Verstanden? Wir holen euch, wenn die Situation es erlaubt. Wahrscheinlich nicht vor dem Morgengrauen.« Robert war sofort einverstanden. David sowieso, denn er hatte keine Lust, wieder als Sklave zu enden, wo er doch gerade erst wieder ein freier Mensch geworden war.
Als die Finsternis die vier vollständig umhüllte, brachen die beiden Schwertkämpfer auf. Robert und David blieben auf den Anhöhen über dem Strand zurück, und betrachteten das Anschleichen der beiden gut bewaffneten Kämpfer. Es waren noch mindestens zwei Meilen bis zum Lager der Sarazenen, aber die beiden hoben nicht einmal ihr Gesäß an, um vielleicht besser kriechen oder nur etwas besser sehen zu können. Es musste unglaublich anstrengend sein, sich so zu bewegen. Dennoch schien es ihnen überhaupt nichts auszumachen. Sie waren offenbar gut im Training.
Als Josselin und Geraldo den Sandstrand erreicht hatten, sahen sie die Lichter der großen Feuerstellen, um die sich einige Leute versammelt hatten. Die Sklaven lagen außerhalb des Lagers, oder zumindest nicht im innersten Kreis, und waren nur von drei Soldaten in merkwürdigen Leintüchern bewacht. Es musste sich um die berüchtigten Sarazenen handeln, von denen Robert erzählt hatte. Niemals zuvor war Geraldo oder Josselin einem solchen Krieger gegenübergetreten und so wussten sie nicht, was sie erwartete. Sicher hatte man schon mal von ihnen gehört – wer nicht – aber gegen sie zu kämpfen, war sicher noch etwas anderes.
Ziemlich genau in der Mitte des Lagerkranzes stand ein großes Zelt und darum verteilt, waren noch mehr Feuerstellen aufgebaut worden. Dicht an dicht, brannten die Lagerfeuer nieder und wurden dann wieder angefacht. »Es sind nur wenige, die wirklich wach sind« meinte Josselin. »Sie scheinen keinen Grund zu haben,
vorsichtig sein zu müssen. Ich sehe drei, und sie kümmern sich um alles gleichzeitig. Sklaven, Wache und Brennholz.«
Geraldo vermutete, dass die Karawane, aufgrund der Explosion, viel Zeit verloren hatte. Anders konnte man sich nicht erklären, warum sie noch nicht losgesegelt waren, und ihr Hauptmann statt in einem Bett im Bauch des warmen Schiffes, lieber auf einer Pritsche im kalten Zelt schlief. Da die Karawane noch nicht lange hier sein konnte, war es auch sehr wahrscheinlich, dass sie jetzt auf den nächsten Morgen warteten, um dann endlich mit der Verladung der Sklaven beginnen zu können.
Die beiden Kämpfer legten sich an eine Sanddüne, etwa fünfzig Meter hinter dem Lager, und verweilten dort bis zur dritten Stunde nach Mitternacht. Dabei beobachteten sie ganz genau das Geschehen am Strand. Beide zählten immer wieder die schlafenden Kämpfer, um auch wirklich niemanden zu vergessen, der dann vielleicht unverhofft aus dem Nichts aufgetaucht wäre und Ärger angerichtet hätte. Auch wenn die Sklaventreiber, wie Robert vermutet hatte, auf der Fahrt mindestens drei Wachen verloren haben mussten, so blieben immerhin noch siebzehn Schwertkämpfer übrig, deren Kampfkunst nicht hinreichend bekannt war. Und alle besaßen zwei Schwerter, verschnürt auf ihrem Rücken. Vorsicht und viel Geduld waren daher geboten.
Die Taktik, die Geraldo vorgab, war »… so viele Gegner wie möglich, ohne Kampf zur Strecke zu bringen. Erst wenn es sich gar nicht mehr vermeiden lässt, werden wir den offenen Schlagabtausch wagen. Einverstanden?« fragte er und Josselin nickte. Selbst wenn sie zehn Kämpfer ohne Aufsehen hätten erdolchen können, würde anschließend noch immer ein ziemliches Ungleichgewicht herrschen. Viel Arbeit kam auf die beiden zu, in dieser Nacht.
Dann endlich ging es los. Robert und David waren vom vielen stumpfsinnigen Warten, ohne dass irgendetwas passierte, schon längst eingeschlafen, als sich die beiden Schwertkämpfer in die Nähe der ersten, ihnen am nächst gelegenen Lagerstätte schlichen, ohne dabei auch nur das geringste Geräusch von sich zu geben. Die meisten der Sarazenen schliefen, genauso wie die Sklaven, sodass es für die beiden zunächst noch ein Leichtes war, die ersten vier Gegner zu töten. Im Grunde ging es immer nach dem gleichen Schema. Josselin, als die Leichtere und
damit deutlich Behändere der beiden, schlich sich an einen der schwarzen Männer heran und schnitt ihm ohne Vorwarnung die Kehle durch, genau an der Stelle, an der die Stimmbänder lagen. Als Schwertkämpferin wusste sie sehr genau, wo der beste Schnitt angesetzt werden musste. Selbst wenn der Ermordete noch einen Alarmruf hätte aussenden wollen, wäre ihm dies jetzt nicht mehr möglich gewesen. Aber ab und zu hörte man doch noch ein leises Röcheln oder ein gequetschtes Zischen, das offenbar dadurch zustande kam, dass der Verbleichende seine letzte Luft durch die funktionslosen Stimmbänder pressen wollte. Einen Ton ergab das aber nicht mehr, so sehr sich derjenige auch anstrengte.
Geraldo sicherte Josselin indes vor dem Rest der Bande, und verfolgte das Mordgeschehen ganz genau, um einen möglichen Angriff aus dem Hinterhalt frühzeitig erkennen zu können. Ein kurzer Eulenruf hätte dann genügt um Josselin zu warnen. Aber es lief alles wie geplant. Meter um Meter kämpften sich die beiden vor, töteten einem nach dem anderen und krochen weiter zur nächsten Schlafstätte, bis im äußeren Kreis niemand mehr atmete. Nur noch dreizehn Kämpfer waren am Leben. Doch die lagen fast alle im inneren Rund des Lagers, das erheblich heller ausgeleuchtet war. Hier waren die Feuerstellen sehr eng um das Zelt des Hauptmanns angeordnet worden und die Wachen schliefen fast Kopf an Kopf. Seitlich der Lagermitte, etwas außerhalb, war der Bereich für die Sklaven untergebracht, dem sie sich als nächstes zuwendeten. Hier standen drei Wächter um das Lager angeordnet und im Gegensatz zu den meisten ihrer Kollegen sahen diese nicht sehr schläfrig aus. Sie hatten sich um die Schlafstätte der Sklaven verteilt, mit jeweils etwa zehn bis fünfzehn Meter Abstand zum nächsten Nachbarn, so dass sie den gesamten Sklavenkreis abdecken und beobachten konnten. Zwei der drei Wächter hätten die beiden ohne weiteres erledigen können, ohne dabei viel Aufsehen zu erregen. Aber was würde der Dritte dazu sagen? »Dann muss es eben schon jetzt zum offenen Kampf kommen« meinte Geraldo und gab Josselin einen letzten Kuss. »Sei bereit für einen Angriff« sagte er und Josselin nickte ihm stumm zu.
Beide schlichen sie jetzt zu den ausgewählten Gegnern und beobachteten dabei genau das Verhalten des dritten Soldaten. Noch verhielt er sich unauffällig und war mit der lautlosen Nacht sehr zufrieden. Dann rief ein kleiner Kauz und man hörte ein… sssSSST … Kurz darauf sackten zwei leblose Körper vorsichtig in sich
zusammen. Doch leider war das bereits aufgefallen, und der dritte Soldat schaute suchend hinter sich. Er sah gerade noch das Zusammenbrechen eines seiner Kollegen und wollte einen Alarmruf aussenden, als zwei Messer gleichzeitig in seine Richtung flogen. Eins von links, das andere von rechts, blieben sie beide in der Kehle des potentiellen Verräters stecken. Langsam versagten seine Knie und er versuchte noch zu schreien, als das Leben ihn verließ und er zu Boden sackte. Doch direkt vor dem Fallenden brannte eines der Lagerfeuer, dessen Holz zu einer Pyramide aufgetürmten worden war. Geraldo hoffte noch, dass der Stürzende eine andere Richtung einschlagen würde, aber den Gefallen tat er ihm nicht. Er knallte stattdessen direkt in das Lagerfeuer hinein. Das Holz fiel um und die Funken schlugen hoch. Große Flammen griffen nach dem Gefallenen und das lodernde Feuer setzte seine Kleider in Brand.
»Der Lärm war kaum zu überhören«, wusste Josselin und machte sich bereit für eine offene Schlacht. Einer der Sarazenen, die im inneren Kreis schliefen, wachte auf und blickte sich um. Er suchte nach einem Grund für die Funken und Geraldo sollte ihm bald einen geben.
Äußerst ruhig lagen Josselin und Geraldo an jeweils einer der beiden Feuerstellen, wo sie zuvor noch je einen Wächter umgebracht hatte. Sie beobachteten zunächst nur, was der Erwachte tun würde. Die Entfernung war zu groß für einen hinterhältigen Angriff. Die Messer steckten im Hals des dritten Soldaten, und ein Schwert konnte man auf diese Entfernung nicht genau genug werfen. Es hatte also keinen Zweck, weiterhin verdeckt zu arbeiten. Die beiden Angreifer waren aufgeflogen, und mussten jetzt schnell handeln, um wenigstens noch das Überraschungsmoment für sich nutzen zu können. Schnell sprang Geraldo auf und rannte auf den nach Antworten suchenden Wächter zu. Josselin lief ebenfalls hinterher, und noch bevor der Soldat begriffen hatte, was hier vor sich ging, stand Geraldo bereits vor ihm. Er konnte gerade noch schreien: »ALLAAAARM. ZU DEN WAFFEahhh …« da hatte Geraldo ihn bereits enthauptet.
Doch jetzt stand das Lager Kopf. Aus allen Ecken und Enden hörte man Schreie. Die Sarazenen versuchten sich Kampfbereit zu machen und griffen nach ihren Schwertern, doch für einige kam der Alarmschrei schon zu spät. Josselin und
Geraldo hatten das Zelt des Hauptmanns bereits an unterschiedlichen Seiten umkreist, und dabei die Halteleinen durchschnitten, wodurch sich das Dach über dessen Kopf langsam zu Boden senkte. Und bevor dieser dem seidenen Gefängnis entkommen war, hatten bereits je eine schlafende Zeltwache die Schwerter der Angreifer im Leib gespürt. »Bleiben noch sechs« rief Josselin Geraldo zu. Doch einer der verbliebenen Wachen stand blitzschnell vor ihr und fuchtelte mit seinen Schwertern vor ihrer Nase herum. Besonders elegant sah das allerdings nicht aus. Trotzdem war Vorsicht geboten, denn es konnte auch eine Falle sein, oder der Kampfstil war ihr einfach nicht bekannt. Deshalb machte sie zwei, drei ausladende Bewegungen, die der Sarazenenkämpfer kaum verfolgen konnte, täuschte mal von links mal von rechts an, weshalb die Schwerter des Gegners meist ins Leere liefen, und war sich dann sicher, dass dies kein neuer Kampfstil war. Also ließ sie einen kräftigen Angriff auf eines seiner Schwerter niederprasseln, drehte sich um ihre eigene Achse, so dass sie seitlich versetzt zu ihm stand, machte dann eine Rolle vorwärts und kam unverhofft hinter dem Kämpen wieder zum Vorschein, der anschließend den eiskalten Stahl im Nacken spürte. »Nur noch fünf« gab sie Geraldo zu verstehen, der sich hinter ihr aufhielt und ihr Deckung gab.
»Vier« antwortete er korrigierend. Gerade hatte er eine Drehung ausgeführt, um einem Schwerthieb auszuweichen. Dann war er von der Seite hervorgestoßen und hatte dem Verteidiger sein Metall in die Eingeweide getrieben.
Josselin war mittlerweile etwas in Bedrängnis gekommen. Sie kämpfte gerade mit drei Gegner gleichzeitig, die rings um sie verteilt standen und wie wild mit je zwei Schwertern auf sie einhieben. Sie konnte gerade noch einem Schwerthieb ausweichen, als ein weiterer auf ihren Kopf zielte und sie sich schon im Himmel wähnte. Doch Geraldo hatte ihre Notlage erkannt und war ihr zu Hilfe geeilt. Er sprang zwischen die Fronten, wehrte den kommenden Schlag noch rechtzeitig ab und half ihr dann auf die Beine. Einen Kämpfer hatte er bereits im Flug den Kopf gespalten. Ein weiterer kam hinter dem zusammen gefallenen Zelt hervor und schloss sich den beiden Verbliebenen an. Josselin und Geraldo formierten sich Rücken an Rücken, um sich gegenseitig Deckung zu geben. Sie drehten sich im Kreis und verteilten Schwerthieb um Schwerthieb nach außen. Während er die kommenden Schläge abwehrte, schlug sie einem Angreifer den Kopf ab. »Noch zwei« rief sie. »Nimm du den rechten, ich nehm’ den Linken.« Die Sarazenen
versuchten nach hinten auszuweichen, denn die Wucht der Schläge der beiden Angreifer wurde mit enormer Kraft ausgeführt. Josselin und Geraldo stießen mit immer mehr Druck nach vorne, bis ihre Angreifer stolperten und auf den Boden fielen. Ein kurzer Hopser über den Fallenden hinweg, und der Stachel drang tief von oben durch die Brust der Morgenländer.
»Das war’s« rief Geraldo und schaute zu seiner Frau rüber, die ihren Gegner ebenfalls besiegt hatte.
»Noch nicht ganz« kam die Antwort unverhofft aus der Mitte des Lagers. Sie hatten den Hauptmann vergessen. Er hatte mittlerweile den Weg aus dem Zelt gefunden und stand nun mit zwei gezogenen Schwertern vor den beiden Angreifern. »Hattet ihr beiden bisher ein leichtes Spiel?« fragte er. »Dann werde ich es euch gerne ein wenig schwieriger gestalten« rief er voller Wut und lies dabei seine beiden Schwerter kreisen, als wären es Streichhölzer.
»Wie gehabt« sagte Josselin unbeeindruckt. »Du von rechts, ich von links.« Doch bevor sie nur einen Schritt gemacht hatten, hörte man ein Kampfgeschrei, das hinter dem Sarazenen entbrannt war. Nur schemenhaft erkannte Geraldo, was da auf sie zu rannte.