Die kleine Maus – von Volker Schmidt

Wie groß ist die Welt

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Die kleine Maus – Wie groß ist die Welt

Es war einmal eine kleine nette Maus, die wohnte in einem Baum. Der Baum war schon sehr alt und hatte daher auch viele knorrige Astlöcher. Sie waren zwar nicht besonders groß, aber sehr gemütlich. Und deshalb hatte sich die kleine Maus, mit Einverständnis des Baumes, dort einquartiert. Maus und Baum verstanden sich sehr gut, und sprachen deshalb auch oft bis spät in die Nacht hinein, über Gott und die Welt. Und weil die Maus sehr neugierig war, stellte sie dem Baum viele Fragen. Der Baum, als einer der Ältesten seiner Gattung, war sehr weise und konnte der Maus auf fast alle Fragen eine Antwort geben. Eines Abends aber, als der Baum schon schlafen gehen wollte, kam die Maus aus einem der Astlöcher und fragte den Baum: »Herr Baum. Du bist schon sehr alt und auch sehr weise – das weiß ich. Aber kannst du mir auch sagen wie groß die Welt ist?«  Die Maus stand mit großen Augen vor dem Baum und wartete auf eine Antwort.

In der linken Hand hatte sie einen kleinen Zollstock, mit dem sie offensichtlich die Welt vermessen wollte.

Es vergingen einige Minuten, aber Herr Baum antwortete nicht. Also fragte sie noch mal: »Herr Baum, wie groß ist die Welt?«

Man sah Herrn Baum förmlich rauchen. Er wußte ja schon sehr viel, aber solch eine schwierige Frage hatte er noch nie beantworten müssen. Und deshalb stand er wie angewurzelt vor der Maus und sah sogar etwas verlegen aus. Nach ein paar Minuten, die wie Stunden wirkten, rührte er sich wieder und sagte dann: »Gewiss bin ich schon sehr alt, und vielleicht bin ich auch sehr weise, aber ich muss dir sagen, dass ich mich in den letzten Jahren kaum vom Fleck bewegt habe. Ich kann dir deine Frage leider nicht beantworten. Es tut mir leid, aber ich weiß nicht, wie groß die Welt ist. Allerdings ich sehe von hier oben einen großen Berg in weiter Ferne. Also ohne Zweifel,« fuhr der Baum fort, »die Welt muss sehr groß sein. Vielleicht gehst du mal auf den Berg und schaust dich um. Von dort oben siehst du bestimmt das Ende der Welt.«

Die kleine Maus war etwas enttäuscht über diese Antwort, denn immer wenn sie eine Frage hatte, und derer hatte sie viele, konnte Herr Baum eine sehr gescheite Antwort geben. Aber in diesem Fall war es anders. Mit dieser Antwort war sie nicht zufrieden. Deshalb beschloß die kleine Maus, dass sie wohl jemand Anderen nach der Größe der Welt befragen müsse. Aber weil sie niemanden kannte, der schlauer war, als Herr Baum, tat sie erst einmal was dieser vorgeschlagen hatte.

Am nächsten Morgen packte sie also einen Beutel mit Lebensmitteln, hauptsächlich Käse und Brotkrumen, legte noch etwas zum Schreiben in den Beutel und ging mit dem Zollstock in der Hand aus ihrer Wohnung. Sie sperrte das Astloch mit einem großen Schlüssel ab und stellte sich vor Herrn Baum. Dann verneigte sich die kleine Maus und sprach zu ihrem Freund: »Ich danke dir für deine Gastfreundlichkeit. Du hast mir eine hübsche Wohnung überlassen und mir viel Gesellschaft geleistet. Danke dafür, aber nun muss ich fort. Ich mache, was du mir geraten hast und gehe um die Welt auf ihre Größe zu vermessen. Eine Bitte habe ich aber noch an dich. Kannst du auf meine Wohnung achten, solange ich unterwegs bin?«

Herr Baum bejahte dies und wünschte der kleinen Maus viel Erfolg und bleibende Gesundheit. Dann ging sie los und Herr Baum schaute ihr noch eine Weile hinterher, solange bis sie hinter einer Biegung aus seinem Sichtfeld verschwunden war.

Nach dem die kleine Maus ein paar Stunden in Richtung des von Herrn Baum ausgewiesenen Berges gewandert war, bekam sie etwas Appetit. Also beschloß sie ihre Wanderung für eine Weile zu unterbrechen, um zunächst etwas essen zu können.

Zuerst suchte sie deshalb nach einem geeigneten Rastplatz und fand ihn unter einer Brücke. Es war eine nicht besonders große Brücke, aber sie reichte aus, um vor der sengenden Sonne etwas Schutz zu bieten.

Die Brücke war angelegt worden, um die beiden Ufer, die von einem kleinen Bach getrennt wurden, mit einander zu verbinden.

Herr Maus machte es sich also unter der Brücke – nahe des Bachufers – bequem und holte seinen Käse aus dem Beutel. Man muss wissen, dass Käse die Leibspeise von Herrn Maus war und er deshalb auch ein Experte in Sachen Käse war. Er kannte alle Sorten und er wusste ganz genau wie diese herzustellen waren. Nachdem er ein großes Stück Edamer und ein paar Brotkrumen aufgegessen hatte, bekam er Durst. Also kniete er sich am Bachufer nieder und wollte gerade etwas Wasser trinken, als ein großer Fisch ihm direkt in die Augen blickte. Herr Maus zuckte erschrocken zurück und verschluckte sich dabei so sehr, dass er husten musste. Als er sich wieder beruhigt hatte, trat er etwas zögerlich zum Bachufer vor und sprach zum Fisch: »Du hast mich ganz schön erschreckt. Wer bist du und was machst du hier?«

Verärgert über diese Frage entgegnete der Fisch: »Was ich hier mache, fragst du? Ich sollte fragen, was du hier machst. Mein Name ist Fisch und ich wohne hier. Aber sag‘, wer bist du und was machst du hier in der Gegend? Ich habe dich hier noch nie gesehen?«

Etwas verlegen antwortete die kleine Maus: »Es tut mir leid, wenn ich dich verärgert habe. Aber ich habe noch nie davon gehört, dass jemand im Wasser wohnt. Mein Name ist Maus und ich bin auf dem Weg zum großen Berg. Ich möchte das Ende der Welt erreichen, um herauszufinden, wie groß sie ist.«

Da fing der Fisch laut an zu Lachen und entgegnete ihr: »Ich weiß zwar nicht, was ein Berg ist, aber das Ende der Welt wirst du dort sicher nicht finden. Wenn es ein Ende der Welt gibt,« behauptete der Fisch, »dann muß es hinter dem großen Teich dort hinten liegen« und er zeigte mit seiner Flosse die Stelle aus, wo er das das Ende der Welt vermutete.

Verwundert über diese Antwort, schaute Herr Maus in die Richtung, die der Fisch ausgewiesen hatte. »Das ist aber nicht die Richtung, die Herr Baum mir gezeigt hat. Wem soll ich nun glauben?« 

Und weil der Fisch ihr gesagt hatte, dass er schon sehr weit in der Welt herumgekommen sein, der Baum aber nicht, glaubte sie ihm und machte sich auf, um das Ende der Welt hinter dem großen Teich zu suchen. Sie wanderte tagsüber am Ufer des Baches entlang und legte sich des Nachts in Felsspalten oder Erdlöcher, um dort vor der Kälte geschützt zu sein.  Hier und da setzte sie sich unter einen Baum, um etwas zu essen oder im Schatten auszuruhen, und manchmal traf sie einen weiteren Bewohner der Welt, aber niemand konnte ihr sagen, wie groß sie ist, oder wo sie ihr Ende hatte.

Nachdem die kleine Maus nun mittlerweile schon einen Monat unterwegs war und sie die verschiedensten Tiere getroffen hatte, die ihr aber alle keine ausreichende Antwort geben konnten, wollte sie schon aufgeben und die Rückreise antreten, als sie endlich das Ufer des großen Teiches erreichte.

»Der Fisch hat vielleicht recht,« dachte sie. »Ich habe das Ufer des großen Teiches erreicht und ich glaube, ich kann das Ende der Welt dahinten am Horizont erkennen.« Ganz aufgeregt lief die kleine Maus am Strand auf und ab und suchte nach einem Weg das Ende der Welt zu erreichen.

Aber immer war ihr das Wasser im Weg. Nirgends gab es einen Weg, der zum Ende der Welt verlief. »Wie komme ich bloß hinter den großen Teich?« fragte sich die Maus, als sie unverhofft eine Stimme hörte.

»Was grübelst du so. Man kann dich ja förmlich denken hören?« sprach es plötzlich aus dem Teich, aber niemand war zu sehen.

Aber dann hörte sie wieder eine Stimme: »Ich bin hier im Wasser. Mein Name ist Wal, und wer bist du?« Und als der Wal das gesagt hatte, kam eine große Fontäne aus dem Wasser und machte die Maus ganz naß.

»Entschuldige bitte,« sagte der Wal. »Das passiert immer, wenn ich atme.«

Leicht verängstigt und triefend nass antwortete die kleine Maus leise: »Das macht doch nichts. Ich hatte sowieso eine Dusche nötig.«

Das war noch nicht einmal gelogen, denn weil die Maus schon mehr als einen Monat auf der Reise war, und sie keine Möglichkeit hatte, sich richtig zu waschen – so wie sie es in ihrer netten Behausung im Baum tun konnte – sah man ihr die lange Reise schon etwas an.

Sicher, auf der Wanderung entlang des Baches hatte sie ausreichend Wasser, aber das war nicht mit einer ausgiebigen Dusche zu vergleichen. Und so bat sie den Wal, nachdem sie sich ihm vorgestellt hatte, die Dusche doch noch einmal anzustellen.

Der Wal tat, worum er gebeten wurde und sprühte aus seinem Blasloch eine gewaltige Wasserfontäne auf die Maus. War das ein Anblick. Da stand die kleine Maus am Strand und seifte sich unter einer riesigen Wasserfontäne ein. Sie genoß diese ausgiebige Dusche, die ihr der Wal ermöglichte. Und als sie genug hatte, trat sie aus dem Wasserfall hervor, trocknete sich ab und hing ihre nassen Sachen über einen Baumstamm, der in der Nähe angeschwemmt worden war.

Als es Abend wurde, machte sie sich am Strand ein kleines Feuer. Der Wal war indes nicht von ihrer Seite gewichen. Auch er war von Natur aus neugierig, genauso wie die Maus, und ein solch kleines Landgeschöpf hatte er noch nie zuvor gesehen. So hatten diese beiden schon eine Gemeinsamkeit, denn auch die kleine Maus war von Größe und Gestalt des Wals angetan.

Der Mond stand bereits sehr hoch, und noch immer waren die beiden wach. Sie unterhielten sich über den Auftrag, den die kleine Maus sich selbst gegeben hatte. Beide diskutierten die Erkenntnisse, die Herr Maus auf seiner Reise vom alten Baum bis zum Strand gewonnen hatte.

Danach erklärte der Wal der kleinen Maus, warum er sich in der Nähe des Strandes aufhielt. Man muß nämlich dazu wissen, dass ein Wal gar kein richtiger Fisch ist. Früher einmal waren die Wale ebenfalls Landtiere, aber irgendwann entschlossen sie sich, das Meer zu erkunden. Also machten sie Schwimmausflüge und weil es ihnen im Wasser so gut gefiel, beschlossen sie, dort zu bleiben. Mit der Zeit wuchsen ihnen dann auch Flossen, was das Schwimmen erleichterte. Die Wale passten sich dem Leben im Wasser an, aber im Gegensatz zu den Fischen, die schon immer dort lebten, müssen Wale nämlich an die Wasseroberfläche, um Luft zu holen. Und weil sie dabei auch schon einmal etwas Wasser verschlucken, haben sie ein Blasloch, das es ihnen ermöglicht das Wasser wieder los zu werden.

»Und warum kommst du dann ab und zu an den Strand, wenn es dir im Wasser so gut gefällt,« fragte die Maus. Diese Frage hatte der Wal ja noch gar nicht beantwortet.

»Ja, siehst du,« sagte der Wal. »es ist ein tolles Leben im Meer, aber ursprünglich lebten wir an Land. Und so zieht es mich hin und wieder an den Strand, um nachzusehen, was dort so geschieht. Offensichtlich können wir Wal unsere Abstammung nicht ganz verleugnen. Außerdem bin ich sehr neugierig und immer darauf bedacht, neue Leute wie dich kennen zu lernen.«

Der Morgen graute schon und die beiden hatten noch immer kein Auge zugetan, als der kleinen Maus ein Gedanke kam. Das Ende der Welt sollte hinter dem großen Teich sein. So hatte es der Fisch gesagt. Also, wenn der Wal in diesem großen Teich schwimmt, dann kann es doch sein, dass er die Stelle kennt, an der die Welt zu Ende ist.

»Kannst du mich dort hinbringen?« fragte die Maus den Wal.

»Ans Ende der Welt soll ich dich bringen,« entgegnete der Wal und war erstaunt über die Unerschrockenheit der kleinen Maus. Es imponierte ihm sehr, dass ein so kleines Wesen Antworten auf so schwierige Fragen haben will. »Nun,« begann der Wal, »ich bin schon sehr weit geschwommen, aber ein Ende habe ich nicht gesehen. Da ich aber im Moment sowieso nichts Besseres vorhabe, und ich selbst gerne wüßte, wie groß die Welt ist, werde ich mit dir zusammen diese Reise unternehmen. Und wenn uns das Glück hold ist, werden wir es auch finden. Immer vorausgesetzt, dass es auch ein Ende gibt, und es tatsächlich hinter dem Meer liegt. Aber an Land kann ich nicht mitkommen. Das ist dir hoffentlich klar.«

Etwas nachdenklich über diese Äußerungen, aber trotzdem noch immer unerschrocken setzte sich die Maus auf den Rücken des Wales und hielt sich an der großen Rückenflosse fest.

»Kann es losgehen?« fragte der Wal und schwamm langsam schon einmal ein paar Meter vom Strand weg.

»Ja, ja! Los geht’s,« antwortete die kleine Maus aus vollem Herzen, »aber bitte denke daran, dass ich nicht schwimmen kann und tauchen auch nicht.«

Bei dem Gedanken an eine tauchende Maus mußte der Wal laut lachen. »Mach dir keine Sorgen,« sagte der Wal beruhigend. »Ich bin ein vorzüglicher Schwimmer,« wobei er in diesem Moment zu einem heftigen Schlag mit seiner riesigen Flosse ansetzte. Schnell kam er auf eine stattliche Geschwindigkeit, die der kleinen Maus doch arg zu schaffen machte, da sie sich lediglich an seiner kleinen Rückenflosse festhalten konnte.

Nach etwa drei Stunden waren sie auf diese Weise schon ein gutes Stück vorangekommen, aber als die Maus den Wal fragte, wann sie denn wohl endlich am Ende der Welt ankommen würden, stoppte der Wal die Fahrt und entgegnete: »Ich glaube, du hast keine Ahnung, auf was du dich hier eingelassen hast! Ich kann sehr schnell schwimmen. Tag und Nacht, ohne Pause, und ich bin schon viele Jahre unterwegs. Mal hierhin und mal dahin, aber das Ende der Welt habe ich auf meinen Reisen noch nie erreicht. Es kann sein, dass wir wochenlang unterwegs sein werden, ohne nur das geringste Anzeichen eines Endes zu sehen.«

Da seufzte die kleine Maus. »Wochenlang auf dem Rücken eines Wales, und ich kann nicht einmal schwimmen,« dachte sie. »Mir ist jetzt schon übel von dem Geschaukel. Wie soll das nur enden?«

Indes setzte der Wal samt Maus die Reise fort, ohne auf das Gemurmel und Gestöhne der Maus zu achten.

Tagein, Tagaus schwamm der Wal schnur geradeaus, dem Horizont entgegen, ohne auch nur das geringste Anzeichen einer Müdigkeit aufzuweisen. Nachts machten sie an kleinen Inseln Rast und während die kleine Maus müde am Strand saß und an ihre nette Behausung bei Herrn Baum dachte, sorgte der Wal stattdessen für eine Mahlzeit. So vergingen die Tage, ohne dass ein Ende abzusehen war.

Manchmal trafen sie auch einen Gefährten von Herrn Wal, den sie nach dem Weg fragten, aber niemand hatte bisher das Ende der Welt, oder etwas Vergleichbares gesehen.

Nach vier Wochen, in denen sie nichts anderes gemacht hatten, als essen, schlafen und schwimmen, wollte Herr Maus aufgeben und die Heimreise antreten, doch der Wal, der sich gerade einer weiteren unscheinbaren Küste näherte, entgegnete: »Lass uns noch ein wenig weitersuchen, ja. Ich glaube, ich kenne diese Gegend. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie kommt sie mir bekannt vor. Allerdings bin ich mir auch sicher, dass ich noch nie so weit von zu Hause weg war, wie jetzt. Das kommt mir etwas seltsam vor.«

»Allerdings ist das seltsam. Wie kann dir die Gegend bekannt sein, wenn du noch nie hier warst« entgegnete die Maus mürrisch.

»Das weiß ich eben auch nicht. Deshalb sage ich, lass uns noch ein wenig weiterschwimmen, bevor wir uns wieder auf den Heimweg machen.«

Also beschlossen die beiden Abenteurer, die Suche nach dem Ende der Welt noch ein klein wenig auszuweiten. Ab und zu schwamm der Wal einige Kurven, und begutachtete die Gegend mit viel Wachsamkeit. Und während die kleine Maus immer mehr an ihrem Unternehmen zweifelte, wurde der Wal zusehens neugieriger. Nach zwei weiteren Tagen endlich, kam dem Wal die Erleuchtung. Vor lauter Freude über diese Entdeckung machte er einen riesigen Satz aus dem Wasser. Sein ganzer Körper schwang sich dabei hoch in die Lüfte. Über drei Meter schoß er aus dem Wasser und tauchte anschließend Kopf über wieder in die Fluten ein.

»Ich hab’s,« schrie er. »Ich habe die Aufgabe gelöst. Herr Maus, ich kenne jetzt die Antwort auf deine Frage.«

Aber es wurde nichts darauf erwidert. »Herr Maus, hast du nicht verstanden? Ich habe die Lösung.« Aber wieder gab es keine Regung.

Und dann bemerkte der Wal, dass die kleine Maus nicht mehr auf seinem Rücken saß. Er schaute sich um, aber niemand war auf dem Wasser zu sehen.

»Herr Maus muss bei meinem Freudensprung ins Wasser gefallen sein,« sagte der Wal ängstlich zu sich selbst. »Und schwimmen kann er auch nicht,« fiel ihm plötzlich wieder ein.

Hektisch tauchte er unter die Wasseroberfläche, um nach der Maus zu suchen und da der Wal sehr gut sehen konnte, fand er sie auch recht schnell. Sie lag regungslos auf dem Meeresboden.

Herr Wal hob sie mit seinem großen Mund ganz vorsichtig vom Boden auf und brachte sie so schnell es irgend ging zur Wasseroberfläche. Dann versetzte er der Maus mit der Flosse einen Schlag auf den Rücken, weshalb sie heftig husten musste. Das war ihr Glück, denn dadurch bekam die Maus wieder Luft, und so wurde sie wieder zum Leben erweckt.

»Das tut mir furchtbar leid. Ich hatte in der Freude über meine Entdeckung völlig vergessen, dass du nicht schwimmen kannst,« sagte der Wal und schämte sich sehr.

»Was für eine Entdeckung?« fragte die Maus, die sich gerade ihre nassen Sachen zum Trocknen auszog.

»Nun, ich habe herausgefunden, dass es gar kein Ende der Welt gibt,« antwortete der Wal mit Stolz.

»Und das soll eine tolle Entdeckung sein« murrte die kleine Maus verärgert. »Dann war die ganze anstrengende Reise völlig umsonst. Also was bitte schön, ist an dieser Entdeckung so phantastisch, dass es mich fast mein Leben gekostet hätte?«

Also begann der Wal mit seiner Erklärung. »Wir sind wochenlang immer geradeaus geschwommen und haben kein Ende der Welt gefunden. Und vorgestern viel mir dann die Gegend auf – sie kam mir irgendwie bekannt vor. Du erinnerst dich doch daran, oder?«

Die Maus bejahte dies, konnte aber noch immer nicht verstehen, was Herr Wal damit sagen wollte. Also hörte sie ihm weiter zu. »Ich war mir sicher,« fuhr der Wal fort, »dass ich noch nie so weit geschwommen war. Trotzdem habe ich die Landschaft und die Küsten wiedererkannt. Sag mir Herr Maus: Wie ist das zu erklären?«

»Keine Ahnung,« antwortete Herr Maus, dem es langsam zu bunt wurde. »Wahrscheinlich sind wir im Kreis geschwommen, anstatt geradeaus, wie wir es vorhatten.«

»Nun, da liegst du gar nicht so falsch,« sprach der Wal zur Maus. »Irgendwie sind wir tatsächlich im Kreis geschwommen, aber nicht so wie du dir das vorstellst,« erklärte er.

Der Wal machte eine Pause und gab der kleinen Maus Zeit zum Nachdenken. Dann sagte er fröhlich: »Wir haben die Welt umrundet. Sie hat gar kein Ende. Die Welt ist eine Kugel, und wir sind wieder genau da angekommen, wo wir vor Wochen gestartet sind.«

Und jetzt erkannte die kleine Maus den Strand, an dem sie den Wal kennengelernt hatte, und wo sie ihre erste fröhliche Dusche genossen hatte.

»Siehst du,« sagte der Wal, »wir sind in diese Richtung los geschwommen,« und er zeigte mit seiner Flosse nach Westen. »Aber wir sind heute aus dieser Richtung zurückgekehrt,« und er zeigte diesmal nach Osten.

Herr Maus verstand nicht viel von Himmelsrichtung, aber er erkannte, dass die beiden ausgewiesenen Stellen in entgegengesetzter Richtung lagen. Das konnte dann aber nur bedeuten, dass der Wal recht hatte. Die Welt mußte eine Kugel sein. Wenn man sich auf einer Kugel immer geradeaus fortbewegt, dann kommt man irgendwann wieder an die gleiche Stelle, an der man gestartet ist.

»Und genau das haben wir gemacht,« dachte die Maus. »Aber was fangen wir jetzt mit dieser Antwort an?« fragte Herr Maus den Wal.

»Nun, zunächst solltest du den Fisch im Bach noch einmal treffen und ihm mitteilen, dass das Ende der Welt nicht hinter dem großen Teich liegt. Und danach würde ich mich an deiner Stelle, auf den Heimweg machen. Ich habe schon lange bemerkt, dass du nicht für die See geschaffen bist. Dir ist eine wohlige Behausung lieber, als ein nasser Rücken. Aber wenn du wieder einmal eine Frage hast, die geklärt werden sollte, dann scheue dich nicht, mich zu besuchen. Vielleicht können wir sie wieder gemeinsam lösen.«

Die beiden Abenteurer verbrachten noch die ganze Nacht miteinander und redeten viel über das bisher erlebte, aber auch über das, was man vielleicht noch erleben könnte.

Als es Morgen wurde und die Sonne aufgegangen war, verabschiedete sich die kleine Maus von Herrn Wal und versprach, dass sie ihn irgendwann mal wieder besuchen würde. Und ohne noch viel Aufhebens zu machen, aber auch noch etwas müde von der langen Reise, trat sie ihren Heimweg an. Aber nicht, ohne bei dem Fisch vorbeizuschauen, so wie es der Wal vorgeschlagen hatte. Sie erzählte dem Fisch von ihrem großen Freund und vom erfolgreichen, aber unerwarteten Ausgang der Reise. Voller Bewunderung über dieses Abenteuer und ihre bestandenen Gefahren, gab der Fisch der kleinen Maus zu verstehen, dass sie wohl etwas Besonderes sei. Hatte er ihr vor der Reise kaum Beachtung geschenkt, so war sie nun in seinem Ansehen doch erheblich gestiegen. Aber all das war der kleinen Maus egal. Sie wollte nur noch nach Hause. Und deshalb wanderte sie auch nach kurzer Zeit wieder weiter.

Ab und zu traf sie einige Weggefährten, die sie ein Stück begleiteten und ihr gespannt zuhörten und endlich, nach einer weiteren Woche, kam sie in die Gegend ihrer Wohnung.

Schon von weitem sah sie Herrn Baum, der ihr freundlich zuwinkte. Hastig eilte sie dem Pfad hinauf, ohne sich an den Blumen zu erfreuen, die mittlerweile schon in voller Blühte standen.

»Nicht so schnell, nicht so schnell,« rief Herr Baum von weitem. »Du wirst noch stolpern, wenn du so schnell läufst. Hat dir dein zu Hause so gefehlt, dass du es kaum erwarten kannst, wieder hier zu sein?«

»Das ist sicher nicht ganz falsch,« antwortete die Maus. »Obwohl ich um nichts in der Welt diese Reise missen will, bin ich doch froh, wieder zu Hause zu sein. Hier ist es doch immer noch am schönsten. Und vor allem ist es hier so schön trocken.«

Herr Maus begrüßte den Baum, den er schon so lange vermißt hatte, setzte dann eine schöne heiße Tasse Tee auf und legte sich anschließend vor seiner Wohnung in die Wiese, wo er Herrn Baum die ganze Geschichte von Anfang bis zum Ende erzählte.

»Das wäre nichts für mich,« sagte Herr Baum als die Geschichte zu Ende war. »Viel zu viel Aufregung und Hektik. Ich bin mehr fürs Gemütliche.«

»Da hast du vollkommen Recht,« entgegnete die kleine Maus.

»Fürs Erste habe ich auch genug vom Reisen. Allerdings frage ich mich des Öfteren, wie weit wohl der Mond von der Erde entfernt ist? Herr Baum, weißt du, wie weit der Mond entfernt ist?«

Und Herr Baum antwortete: »Ich glaube, wir sollten diese Unterhaltung auf ein anderes Mal verschieben. Und die Geschichte von der Maus auf dem Mond, die erzählen wir dann ein anderes Mal.«

– ENDE –